DEUTSCHLAND – Zwei Jahre Suizidhilfe – eine Zwischenbilanz

24. Mai 2022

In Deutschland ist die professionelle Durchführung von Suizidhilfe seit gut zwei Jahren wieder erlaubt. Die Befürchtungen der Gegner erweisen sich erwartungsgemäss als unbegründet.

Am 21. Februar 2022 berichteten die drei Organisationen DIGNITAS -Deutschland, DGHS und Verein Sterbehilfe an einer Pressekonferenz in Berlin anlässlich des zweijährigen Jubiläums der Aufhebung des § 217 StGB über ihre Erfahrungen der letzten zwei Jahre und präsentierten einen Katalog mit 10 wichtigen Punkten zur Gewährleistung der Wahlfreiheit (Berliner Appell 2022: 10 Forderungen für humane Suizidhilfe in Deutschland).

Am 26. Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung den 2015 eingeführten § 217 des Strafgesetzbuches für nichtig erklärt; dieser verbot die wiederholte und somit professionelle Suizidhilfe in Deutschland. Zu den Klägern in Karlsruhe gehörten die beiden DIGNITAS-Vereine in der Schweiz und in Deutschland sowie mehrere Personen, die in ihrem beruflichen oder privaten Umfeld vom Verbot der Suizidhilfe betroffen waren (s. auch DIGNITAS Medienmitteilung vom 26. Februar 2020).

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anerkannte mit seinem Urteil das Recht auf Beendigung des eigenen Lebens als Menschenrecht und als Teil der persönlichen Autonomie jedes Menschen. Nach dem Urteil schufen DIGNITAS-Deutschland und weitere Organisationen, die nach 2015 ihre Tätigkeit im Bereich der Suizidhilfe hatten einstellen müssen, die notwendigen Strukturen zur Informierung und Beratung, zur Bearbeitung von Anfragen und zur Vorbereitung und Durchführung der Suizidhilfe.

Im Jahr 2021 haben die drei Organisationen DIGNITAS-Deutschland, DGHS und Verein Sterbehilfe neben der Informierung und Beratung von Hunderten von Menschen zusammen annähernd 350 Suizidbegleitungen in Zusammenarbeit mit Ärzten durchgeführt oder vermittelt. Jeder leidende Mensch wurde professionell begleitet und die Ereignisse ordnungsgemäss der Polizei gemeldet. Durch die Behörden wurden keinerlei Unregelmässigkeiten festgestellt, was untermauert, dass der bestehende Rechtsrahmen ausreichend Schutz bietet und dass keine besondere Gesetzgebung zu Suizidhilfe erforderlich ist.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts lässt dem Bundestag die Möglichkeit, durch Gesetzgebung einen regulierenden Rechtsrahmen zu schaffen, innerhalb dessen Suizidhilfe geleistet werden darf, sofern die Autonomie des Individuums im Sinne des Urteils voll gewahrt bleibt. Obwohl die Karlsruher Richter keineswegs ein Gesetz zur Regulierung von Suizidhilfe gefordert haben, sind inzwischen mehrere Gesetzesvorschläge verschiedener politischer Gruppierungen erarbeitet worden. Im Rahmen einer erfreulich sachlich geführten abermaligen Orientierungsdebatte hatten die Bundestagsabgeordneten am 18. Mai 2022 zudem Gelegenheit, sich zum Thema «Suizidhilfe» zu äussern. Die Diskussion über die Gesetzesentwürfe dürfte in den nächsten Monaten erfolgen.

Die Analyse der bisher vorgelegten Entwürfe zeigt Bedenkliches: Alle zielen darauf ab, die dank des Bundesverfassungsgerichtsurteils wiedergewonnene Freiheit abermalig mehr oder weniger einzuschränken. Es ist essenziell, dass ein Gesetz nicht die Freiheit einschränkt, die zu schützen es vorgibt. Die Verteidiger von Selbstbestimmung über das eigene Lebensende und die Suizidhilfeorganisationen sind bereit, notfalls wieder vor Gericht zu ziehen, um sicherzustellen, dass die Freiheiten, die in der Entscheidung des Verfassungsgerichts ausdrücklich bestätigt worden sind, nicht erneut durch paternalistische Gesetzgebung eingeschränkt werden.