Wussten Sie, dass …
November 2025
… der Begriff «Tabu» aus dem Polynesischen kommt?
Dort bedeutet tapu so viel wie «geweiht» oder «unberührbar». Damit wurden Dinge bezeichnet, die dem weltlichen Zugriff entzogen waren[1]. Gemeint sind heilige Dinge, die nicht einfach von Hinz und Kunz angefasst werden durften. Tapu lässt sich deshalb sowohl mit «heilig, unberührbar» als auch mit «verboten» übersetzen. Diese zweite Bedeutung prägt den Begriff bis heute: Über ein Tabu spricht man nicht. Über das «letzte Tabu», über das Sterben und den Tod, erst recht nicht. Das ist im Grunde auch verständlich, denn gerade die eigene Endlichkeit, aber auch jene von geliebten Menschen, ist ein Thema, das man sich nur ungern vor Augen führt.
Tabus verlieren ihre Macht, wenn man über sie spricht. Dies gilt auch für Suizidgedanken. Wer Worte findet, entlastet sich; wer zuhört ohne zu werten, kann Leiden lindern. Schweigen hingegen vergrössert die Not. Dafür, dass Tabus ihren «heiligen Status» verlieren und zu Alltäglichem werden können, liesse sich so manches Beispiel anführen. Nehmen wir das Weihwasser: Was früher eine exklusive sakramentale Flüssigkeit war, die nur im Gottesdienst berührt wurde, steht heute in Plastikflaschen und allerlei anderen Behältnissen in Souvenirshops – zwischen Magneten, Postkarten und Schlüsselanhängern. Und dort wird es eben von Hinz und Kunz angefasst, gerührt und geschüttelt, ganz ungeniert und ohne das erhabene Flair, das Heiligtümern sonst anhaftet.
Wenn also aus früher Unberührbarem wie dem Weihwasser profane Alltagsgegenstände werden können, so lässt sich bestimmt auch über Tabus wie Suizidgedanken sprechen. Ungezwungen, unkompliziert und entlastend.
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[1] Kluge – Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. De Gruyter, Berlin / New York. 24. Auflage, 2002.
August 2025
… in der Schweiz jeder assistierte Suizid behördlich untersucht wird?
In der Schweiz gilt ein assistierter Suizid rechtlich als «aussergewöhnlicher Todesfall». Die begleitenden Personen sind daher verpflichtet, den Todesfall der Polizei zu melden. Diese kommt vor Ort und meldet den Todesfall der Staatsanwaltschaft für die rechtliche Überprüfung und dem Amtsarzt für die Untersuchung des Leichnams.
Diese Untersuchungen erfolgen bei jedem nicht-natürlichen Tod. Aufgrund der Lage vor Ort und den vorliegenden Unterlagen wird sichergestellt, dass bei der entsprechenden Suizidassistenz keine Hinweise auf eine strafbare Handlung vorliegen, wie beispielsweise «Verleitung zum Suizid» oder «Tötung auf Verlangen». Suizidhilfe ist in der Schweiz nur dann strafbar, wenn sie aus selbstsüchtigen Motiven erfolgt.
Mai 2025
… die Ausübung eines Menschenrechts keiner «staatlichen Erlaubnis» bedarf?
In vielen Ländern verunmöglichen Verbote noch immer die Ausübung des (Menschen-)Rechts und der Freiheit, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes selbst zu entscheiden und dafür Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Oder enge Gesetze schränken die Optionen unverhältnismässig ein.
Doch die Annahme, dass es für die Ausübung eines Menschenrechtes einer «staatlichen Erlaubnis» bedürfe, ist fehl am Platz. Menschenrechte gelten immer. Ihre Ausübung bedarf keinerlei Legitimierung durch Regierung, Parlament oder Behörden.
Freiheit ist ein wertvolles Gut. Dieses gilt es stets zu schützen und das Ausüben eines Menschenrechts nicht durch bevormundende, voreilige und unnötige Verbote und Regelungen zu erschweren oder gar zu verunmöglichen. Ein Recht auszuüben, ist für niemanden Pflicht; das gilt natürlich auch für das «letzte Menschenrecht». Es steht jedem offen, wie er persönlich zur Suizidhilfe und Sterbehilfe allgemein steht. Ebenso steht es jedem urteilsfähigen Menschen frei, über Art und Zeitpunkt seines Leidens- und Lebensendes selbst zu entscheiden.
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siehe dazu auch: Kommentar von DIGNITAS «Selbstbestimmung über das eigene Lebensende ist ein Menschenrecht. Gedanken zum Welttag der Menschenrechte» vom 10. Dezember 2024
Februar 2025
… es keine «gesunde Sterbewillige» gibt?
In der Schweiz war lange umstritten, ob ärztlich unterstützte Suizidassistenz auch für Personen zulässig sei, die keine Krankheit im medizinischen Sinn haben. Diese Frage ist mittlerweile geklärt. Dr. Pierre Beck, ehemaliger Präsident von EXIT Suisse romande, hatte einer 86-jährigen angeblich gesunden Frau zusammen mit ihrem schwer erkrankten Ehemann eine Suizidassistenz ermöglicht. Die betagte Ehefrau hatte entschieden, dass sie ohne ihren Gatten auf keinen Fall weiterleben will. Der Fall wurde von verschiedenen Gerichtsinstanzen beurteilt, und höchstrichterlich wurden keine Verstösse gegen geltende Gesetze festgestellt.
Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang: Ein schweres Leiden kann auch dann gegeben sein, wenn keine medizinische Diagnose im Sinne der ICD- und ICF-Tabellen vorliegt. Dies ergibt sich auch aus der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO): «Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen» [1]. Wer, wie die Frau im Fall von Dr. Pierre Beck, nicht weiterleben will, dessen Wohlbefinden und somit Lebensqualität ist zweifellos beeinträchtigt und kann nicht als «gesund» im Sinne dieser Definition angesehen werden.
Einer Person, die aufgrund ihres existentiellen Leidens ihr Leben mit ärztlich unterstützter professioneller Suizidhilfe beenden möchte, steht in jedem Fall vor der Herausforderung, ihr subjektiv empfundenes Leiden zu objektivieren, damit der Sterbewunsch für die assistierenden Personen – Arzt, DIGNITAS, Behörden, Angehörige – nachvollziehbar wird.
[1] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1948/1015_1002_976/de
November 2024
… es keinen «Sterbetourismus» gibt?
Der sogenannte «Sterbetourismus» ist ein Unwort, eine Schöpfung von Schreiberlingen, die mit ihrer Wortwahl den assistierten Suizid in – gewollter oder ungewollter – Unkenntnis der Tatsachen skandalisieren. Der Begriff wird bei jeder Gelegenheit wieder hervorgekramt, aktuell auch im Zusammenhang mit der sogenannten «Sarco»-Sterbekapsel.
Menschen, die für eine Freitodbegleitung in die Schweiz kommen, tun dies weder wie Touristen zu ihrem Vergnügen, noch wollen sie eigentlich sterben – sie sehen jedoch angesichts ihres Leidens keine Möglichkeit mehr weiterzuleben und haben dort, wo sie leben, keine legale Möglichkeit, das Recht und die Freiheit in Anspruch zu nehmen, ihr Lebensende vollauf selbst zu bestimmen. Der Entscheid zu diesem Schritt, die aufwändigen Vorbereitungen und auch die Reise selbst erfordern viel Kraft, Ausdauer und eine grosse Entschiedenheit.
Dies nimmt niemand auf sich, der dort, wo er zuhause ist, eine für ihn akzeptable Möglichkeit hat, sein Lebensende nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Ganz im Gegenteil: Es ist ein wohlüberlegter und niemals einfacher Akt der Selbstbestimmung und verdient eine angemessene und respektvolle Wortwahl in der gesellschaftlichen, politischen und medialen Diskussion.
August 2024
… bei der Beratung von DIGNITAS nicht Freitodbegleitungen (FTB) im Zentrum stehen?
Der Verein «DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» begreift sich nicht als «Sterbehilfeorganisation»[1], sondern als gemeinnützige Organisation für Lebenshilfe, Suizidversuchsprävention und Menschenrechte. Ein Grossteil unserer Tätigkeit umfasst praktische und juristische Beratung für Ärzte, Juristen, Kranke, Gesunde, Angehörige von Kranken, usw. Und natürlich auch für suizidale Menschen.
Zentral ist bei der Beratung von Betroffenen nicht die Frage «wie sterben», sondern «wie weiterleben». Ein Sterbewunsch entsteht dann, wenn jemand keine Möglichkeit mehr sieht, eine Lebensqualität aufrecht zu erhalten oder zu erreichen, mit der er ein Weiterleben als (noch) tragbar empfindet. Wenn die Person in ihrem Wunsch nach einem Ende des Leidens ernst genommen wird, ihr in einem ergebnisoffenen und tabufreien Gespräch umfassende Informationen zu gangbaren Optionen zur Stabilisierung oder Verbesserung der Lebensqualität aufgezeigt werden, ohne dabei die selbstbestimmte Lebensbeendigung auszuschliessen, erlangt sie Wahlfreiheit – und wird oft das Weiterleben wählen.
Nur wenige Menschen, die sich an DIGNITAS wenden, ersuchen um eine FTB, und noch viel weniger entscheiden sich letztendlich für diese Option. Das Wissen um eine reale, legale, professionell begleitete Möglichkeit, um eine Art «Notausgang» für den Zeitpunkt, an dem es wirklich «nicht mehr geht», kann Erleichterung verschaffen und Mut machen weiterzuleben. Damit wird auch verhindert, dass die Not und der Leidensdruck so gross werden, dass ein Mensch aus Verzweiflung einen einsamen Suizidversuch unternimmt, der mit grosser Wahrscheinlichkeit scheitert, mit gravierenden Folgen für ihn selbst und sein Umfeld. Das Brechen des Tabus rund um Sterben, Tod und Suizid sowie eine ergebnisoffene Beratung in alle Richtungen, die auch die Möglichkeit zur selbstbestimmten Lebensbeendigung enthält, können also Suizidversuche verhindern.
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[1] Der Begriff «Sterbehilfe» ist unscharf, umfasst er doch verschiedene Formen der Hilfe beim und zum Sterben. So kann damit bspw. auch die aktive Sterbehilfe, also die Lebensbeendigung durch Drittpersonen (in der Schweiz strafbar) oder die passive Sterbehilfe (sterben lassen) verstanden werden. Deshalb sprechen Organisationen wie DIGNITAS von «Freitodbegleitung» oder «Suizidhilfe». Im DIGNITAS-Newsletter vom Mai 2024 haben wir die Begrifflichkeiten ausführlicher beleuchtet und beschrieben.
Mai 2024
… «Sterbehilfe» nicht gleich «Suizidhilfe» bedeutet?
Oft wird im Zusammenhang mit der Tätigkeit unseres Vereins DIGNITAS von «Sterbehilfe» gesprochen. Der Begriff ist allerdings unscharf, denn er fasst verschiedene Formen der Hilfe beim und zum Sterben zusammen. Neben der Suizidhilfe kann damit auch die direkte aktive Sterbehilfe gemeint sein, also die Beendigung des Lebens durch eine Drittperson (beispielsweise durch einen Arzt mittels Injektion eines letalen Medikaments) auf ausdrücklichen Wunsch der betroffenen Person. Die direkte aktive Sterbehilfe ist in der Schweiz verboten und fällt unter den Straftatbestand der «Tötung auf Verlangen». Gelegentlich wird Sterbehilfe auch als Begleitung und Betreuung eines Sterbenden durch Palliativpflegende, Hospizmitarbeitende oder Angehörige verstanden. Hierfür ist der Begriff «Sterbebegleitung» zutreffend.
In der Schweiz sprechen Organisationen wie DIGNITAS, Exit (Deutsche Schweiz) und weitere bei der Suizidhilfe auch von «Freitodbegleitung». Der juristische Fachbegriff lautet «assistierter Suizid» (AS). AS bedeutet, dass eine Person nicht nur selbst über ihr Lebensende bestimmt, sondern auch die Handlung, die den Tod herbeiführt, selbst vornimmt. Assistierende Personen ermöglichen dies, etwa indem sie wie der Verein DIGNITAS der Person begleitend zur Seite stehen, wenn sie sich das von einem Arzt verschriebene tödliche Medikament zuführt. Um es mit den Juristen zu sagen: Die Tatherrschaft über das Geschehen liegt ausschliesslich bei der sterbewilligen Person. Nach Artikel 115 des schweizerischen Strafgesetzbuches ist der AS keine Straftat, so lange bei den assistierenden Personen keine selbstsüchtigen Motive vorliegen[1].
Noch komplexer wird es, wenn weitere Sprachen und/oder Kontexte hinzukommen. So sind für den AS etwa in englischsprachigen Ländern und Regionen Begriffe gebräuchlich wie «voluntary assisted dying (VAD)» bspw. in Australien, «medical aid in dying (MAID)» bspw. in Kanada oder «[physician] assisted suicide (PAS)». Der Begriff «assisted dying» kann zudem je nach Land und Kontext nebst AS auch direkte aktive Sterbehilfe meinen.
Auch in Frankreich macht man sich Gedanken über Begrifflichkeiten. Das Land wird derzeit umgetrieben von einer emotionalen Debatte über einen Gesetzesentwurf zur Begleitung von Kranken und Menschen am Lebensende. Im Entwurf wird für die selbstbestimmte Lebensbeendigung der schwammige Ausdruck «aide à mourir» verwendet, also «Hilfe zum Sterben»; die Begriffe «suicide» sowie der in Belgien und den Niederlanden geläufige medizinische Fachbegriff der «Euthanasie» für die direkte aktive Sterbehilfe werden gänzlich vermieden.
Dass der Begriff «Euthanasie» in verschiedenen Ländern und (Sprach-) Regionen im öffentlichen Diskurs immer wieder auftaucht, ist nicht weiter verwunderlich, denn das dem Griechischen entstammende «euthanasía» bedeutet «guter, schöner Tod» und setzt sich aus «eu» (gut, schön, leicht, richtig) sowie «thanatos» (Tod) zusammen. Da der Begriff «Euthanasie» allerdings gerade im deutschen Sprachraum Erinnerungen an die Gräueltaten der Nationalsozialisten heraufbeschwört, wird er im Kontext einer selbstbestimmten Lebensbeendigung in der Regel nicht verwendet. Gänzlich vermieden werden sollte der Begriff «Selbstmord», denn «Mord» impliziert eine strafbare Handlung. Auch «begeht» man keinen Suizid, da dieser Begriff ebenfalls ein strafrechtlich relevantes Vergehen bezeichnet.
Mehr zu Begrifflichkeiten finden Sie im DIGNITAS-Lexikon und in der «Nomenklatur für Journalisten» auf der Informationsseite für Medienschaffende.
[1] Art. 115 StGB: «Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.»
Februar 2024
… Trauer kein linearer Prozess mit einem Anfang und einem Ende ist bzw. sein muss?
Trauer hat in aller Regel einen klaren Anfang, beispielsweise den Verlust eines geliebten Menschen, die Vertreibung aus der Heimat, eine ernste Diagnose oder auch den Entscheid einer nahestehenden Person für eine Freitodbegleitung. Ein definitives Ende hingegen kennt sie in den allermeisten Fällen nicht. Sie wandelt sich jedoch.
Oftmals wird im Zusammenhang mit Trauer von «Phasen» gesprochen – populär ist beispielsweise das Modell nach Elisabeth Kübler-Ross, welches die fünf Phasen Leugnung, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz beschreibt. Bei Kübler-Ross ging es eigentlich um den Sterbeprozess, das Modell wird aber auch im Zusammenhang mit dem Trauerprozess herangezogen. Demgemäss sollen die Trauerphasen optimalerweise nacheinander durchlebt werden, wobei die letzte die Akzeptanz ist. Im Idealfall, so eine gängige Annahme, setze man sich mit der eigenen Trauer auseinander und akzeptiere am Ende des Trauerprozesses die Situation. Mit dieser Sichtweise ist auch die grundsätzliche Erwartung verbunden, dass man den Verlust einer nahestehenden Person betrauert. Gleichzeitig gibt es die Vorstellung, dass die Trauer irgendwann ganz vorüber ist und man sich wieder «normal» fühlt, also so wie vor dem Trauerereignis.
Trauernde merken jedoch, dass Trauer nicht linear ist und dass sie eher in Wellen, in Schüben kommt und geht – und dass es keinen klaren Endpunkt gibt. Meist verändert sich ihre Qualität im Laufe der Zeit: Sie ist nicht mehr so überwältigend wie zu Beginn, die Intervalle zwischen den Schüben werden länger, es fällt leichter, die Situation anzunehmen und zu akzeptieren. Trauer ist also ein ebenso individueller wie facettenreicher und komplexer Prozess, für den es im Grunde keine Regeln gibt. Sie kann Monate, ja sogar Jahre dauern und bei den allermeisten Menschen bleibt eine «Resttrauer». Nicht wenige Menschen trauern zudem kaum und / oder erleben die Trauer nur kurz. Diese Auffassung entspricht denn auch dem aktuellen Forschungsstand, ein wichtiger Name in diesem Zusammenhang ist George A. Bonanno, Professor am «Loss, Trauma and Emotion Lab»[1] des Teachers College, Columbia University.
Im Umgang mit Trauer ist vieles ganz «normal», wenn auch stets individuell. Es gibt kein Richtig oder Falsch, sowohl die Art als auch die Dauer des Trauerprozesses hängen stark vom Trauerereignis und / oder von der Beziehung zu der verlorenen Person ab. Wenn es jedoch nicht mehr gelingt, den Alltag zu bewältigen, Freude zu empfinden oder auch ganz praktisch einer Arbeit nachzugehen, ist womöglich die Suche nach professioneller Unterstützung angezeigt, denn dann könnte es sich um eine «anhaltende Trauerstörung» handeln. In der «internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme» (ICD) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) heisst es sinngemäss: Von einer «anhaltenden Trauerstörung» wird gesprochen, «wenn eine erhebliche Beeinträchtigung der persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen»[2] vorliegt.
Wichtig ist in jedem Fall, dass der Trauer der Raum und die Zeit eingeräumt werden, die sie braucht. Sie ist nicht angenehm, doch sie gehört genauso zum Leben wie etwa die Freude.
[1] https://www.tc.columbia.edu/ltelab/
[2] ICD-11 «Prolonged Grief Disorder» https://icd.who.int/browse11/l-m/en#/http://id.who.int/icd/entity/1183832314
November 2023
… es im Zusammenhang mit medialer Berichterstattung über Suizid nicht nur einen «Werther-Effekt» gibt, sondern auch einen «Papageno-Effekt»?
Eine angemessene Berichterstattung zu Suiziden erfordert von Medienschaffenden Fingerspitzengefühl. Gerade dann, wenn die verstorbene Person von besonderem öffentlichem Interesse und / oder wenn die Art und Weise des Suizids eher ungewöhnlich scheint, lockt der Nachrichtenwert. Gleichzeitig aber besteht das Risiko der Nachahmung. Letzteres ist einigermassen gut erforscht und trägt den Namen «Werther-Effekt», in Anlehnung an den tragischen Helden in Goethes Briefroman «Die Leiden des jungen Werther» von 1774, dessen Veröffentlichung eine Zunahme von Suiziden auslöste. Entsprechend können sich Suizide nach bestimmten Formen medialer Berichterstattung häufen – etwa, wenn sie besonders sensationslüstern ist oder Details zur Methode nennt.
Es gibt aber auch den gegenteiligen Effekt, der Suizide verhindern kann. Ein Team um den österreichischen Professor Thomas Niederkrotenthaler hat diesen «Papageno-Effekt» systematisch untersucht und 2010 erstmals beschrieben*. Demnach kann die mediale Berichterstattung protektiv, also schützend, wirken, wenn beispielsweise Alternativen zum Suizid und / oder Lösungsansätze aufgezeigt werden. Auch die Darstellung konstruktiver Krisenbewältigung sowie das Publizieren konkreter Hilfsangebote für Menschen, die an Suizid denken, können hilfreich sein. Zudem können sich die Enttabuisierung sowie die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für das Thema «Suizid» positiv auswirken.
Wie der Werther-Effekt, hat auch dieser schützende Effekt seinen Namen der Kunst zu verdanken, und zwar der Figur des Papageno aus Mozarts «Zauberflöte». Papageno wird im letzten Moment vom Suizid abgehalten, indem ihm nahestehende Personen Alternativen aufzeigen.
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* Role of media reports in completed and prevented suicide: Werther v. Papageno effects: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20807970/, 31.10.23