ÖSTERREICH – Verfassungsgerichtsurteil: Professionelle Suizidhilfe wird weiter liberalisiert
24. Februar 2025
Gastbeitrag von Heidemarie Hurtl, ÖGHL – Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende
Mit Beginn des Jahres 2022 trat in Österreich das Sterbeverfügungsgesetz in Kraft, das es Menschen mit Wohnsitz in Österreich unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, durch assistierten Suizid selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden. Die Hürden, die es dabei zu überwinden galt, waren zunächst sehr hoch – auch aus Mangel an Information und fehlender Vernetzung.
Viel Bürokratie und wenig Unterstützungsmöglichkeiten
Doch auch nachdem sich die Verfahren eingespielt hatten, konnten sterbenskranke Menschen den Weg zur Sterbeverfügung meist nur mit Hilfe engagierter Familienmitglieder oder Freunde gehen. Zwei attestierende Ärzte müssen gefunden werden – einer davon mit Palliativausbildung –, zudem ein eintragender Notar und schliesslich eine Apotheke, die willig ist, das letale Präparat abzugeben. Hat man es endlich in Händen, wird man damit alleine gelassen, denn die weitere Vorgangsweise ist im Gesetz nicht geregelt.
In dem gesamten Prozess gibt es daher zahlreiche Anknüpfungspunkte, wo ein Verein wie die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) beratend und helfend zur Seite stehen könnte. Doch das im Gesetz formulierte rigorose Werbeverbot – de facto ein Informationsverbot – hat diese Möglichkeit stark eingeschränkt. Ausser neutraler Information war bisher nichts erlaubt, schon gar nicht irgendeine Form der physischen Hilfeleistung.
Die ÖGHL setzt sich auf rechtlichem Weg für die Betroffenen ein
Um dies zu ändern, offensichtliche Ungerechtigkeiten zu beseitigen und unnötige Hürden abzubauen, brachte die ÖGHL im Juni 2023 mit Unterstützung von DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben einen zweiten Individualantrag beim österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) ein. Die im Sterbeverfügungsgesetz formulierten Bestimmungen wurden darin in mehreren Punkten als verfassungswidrig angefochten.
Im Herbst 2024 wurde der Antrag verhandelt. Vertreter:innen der Bundesregierung, verschiedener Berufsverbände und der ÖGHL wurden ausführlich angehört. Besonders eindringlich fiel das Statement unserer Geschäftsführerin Dr. Christina Kaneider aus, die als Palliativmedizinerin ihre Erfahrungen aus der klinischen Praxis einbringen konnte.
Erfreuliches Urteil des VfGH
Nach einer mehrmonatigen Beratungsphase veröffentlichte der VfGH kurz vor Weihnachten seine Entscheidung, die aus Sicht der ÖGHL sehr erfreulich ausfiel. Es gelang uns mit diesem Verfahren, in zwei ganz wesentlichen Punkten des Gesetzes eine Aufhebung zu erwirken, was den Zugang zu professioneller Suizidassistenz und weiteren Optionen der Leidensendehilfe in Zukunft erleichtert und unseren Handlungsspielraum entscheidend erweitert.
Zum einen fiel das strenge Werbeverbot. War bisher selbst das Ankündigen bzw. Anbieten von Suizidassistenz verboten, so ist ab nun lediglich das (marktschreierische) Anpreisen gesetzlich untersagt. «Das bedeutet, dass die ÖGHL jetzt tatsächlich Freitodbegleitung anbieten und auch darüber reden kann», interpretiert Rechtsanwalt Dr. Wolfram Proksch das Urteil. «Einer sachlichen Information über die Internetseite, via Newsletter oder in Broschüren steht nichts mehr im Weg.» Die ÖGHL ist damit endlich in der Lage, sinnvolle Vereinsarbeit zu leisten und schwerleidene Menschen zu unterstützen – weit über das bisherige Ausmass hinaus.
Die zweite wichtige Änderung betrifft die Gültigkeitsdauer einer Sterbeverfügung. Sie muss nun nicht mehr nach Ablauf eines Jahres verlängert werden, inklusive des gesamten, aufwändigen Procederes. Das ist eine wesentliche Erleichterung für Menschen mit fortschreitender Erkrankung, die nicht unmittelbar ihr Leiden beenden wollen, sich aber diesen Ausweg jederzeit offenhalten möchten. Diese Änderung tritt erst mit Juni 2026 in Kraft, dem Gesetzgeber wurde hier eine Reparaturfrist eingeräumt. Für die ÖGHL als Antragstellerin gilt jedoch die sogenannte «Ergreiferprämie», die Aufhebung wirkt sich also in bestimmten Fällen sofort aus.
Irreführende Schlagzeilen in der Presse
In den Medien wurde die für Österreich so wichtige Entscheidung auf bizarre Weise verfälscht. «Sterbehilfe bleibt weiterhin verboten», titelte ein Grossteil der Tageszeitungen in Anlehnung an den Pressetext des VfGH. Juristisch ist das zwar korrekt, denn das Sterbeverfügungsgesetz regelt die Ausnahmen vom Suizidhilfe-Verbot (ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch), doch die Berichterstattung löste Verwirrung aus. Es ist zu vermuten, dass die Formulierung aus Rücksicht auf die konservativen Kräfte im Land gewählt wurde.
In seiner Aussendung suggeriert der VfGH auch, dass die Anträge der ÖGHL weitestgehend abgewiesen wurden. Tatsächlich sind die Richter unserer Argumentation in einigen Punkten nicht gefolgt. Der Paragraf 77 Strafgesetzbuch «Tötung auf Verlangen» wurde nicht aufgehoben. Hier verwies der VfGH auf technische Lösungen, die es bewegungsunfähigen Menschen erlauben sollen, eine Infusion selbst zu öffnen. Auch das Verbot der wirtschaftlichen Vorteile, das wir ebenfalls anfochten, hat der VfGH nicht aufgehoben, da eine angemessene Entlohnung ohnehin erlaubt sei.
Die ÖGHL bereitet die nächsten Schritte vor
Die Frage, was genau eine angemessene Entlohnung ist, wird uns in Zukunft ebenso beschäftigen wie weitere Feinheiten: Wo ist die Grenze zwischen Anbieten und Anpreisen? Wo endet die sachliche Information und wo beginnt die Werbung? Es gibt dazu noch keine Rechtsprechung der Gerichte, wir müssen uns daher an Analogien orientieren und mit Vorsicht und Sorgfalt vorgehen.
Insgesamt ist dieses Urteil ein wichtiger Schritt hin zu einem selbstbestimmten Lebensende für Menschen in Österreich. «Wir sind über die Entscheidung des VfGH sehr erfreut», kommentierte Dr. Christina Kaneider den Richterspruch. «Unsere Hauptanliegen wurden berücksichtigt, damit ist der Weg für eine sinnvolle Vereinsarbeit zum Wohle Betroffener offen. Dies ermöglicht ab sofort auch eine professionelle Begleitung.» An entsprechenden Konzepten wird bereits gearbeitet.