DIGNITAS INTERN – Wie sich die Arbeit von DIGNITAS verändert
26. November 2024
Bereits bei der Gründung des Vereins «DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» (abgekürzt: «DIGNITAS») 1998 war es für Personen aus dem Ausland in der Schweiz legal möglich, mit ärztlicher Unterstützung das eigene Leiden und Leben zu beenden. Das Land war diesbezüglich weltweit ein freiheitlicher Sonderfall, und schon bald erreichten den Verein Anfragen von schwerkranken Menschen aus umliegenden Ländern, die bereit waren, für eine Freitodbegleitung in die Schweiz zu reisen.
Es war damals und ist auch heute nicht einzusehen, weshalb der Zugang zu Unterstützung für die Beendigung des eigenen Leidens und Lebens davon abhängig sein soll, wo jemand lebt. Idealerweise soll diese Unterstützung dort erfolgen, wo ein Mensch zuhause ist. Die meisten Menschen möchten bei sich zuhause sterben. Deshalb setzt sich DIGNITAS seit seiner Gründung weltweit auf gerichtlichem und politischem Weg für dieses «letzte Menschenrecht» ein, informiert über Optionen zur selbstbestimmten Gestaltung des Lebensendes und ermöglicht Menschen aus aller Welt die Inanspruchnahme dieses Rechts in einem professionellen, legalen und ärztlich unterstützten Rahmen in der Schweiz.
Selbstbestimmung bis zum Lebensende weltweit ein Thema
Heute wird der selbstbestimmten Gestaltung des eigenen Lebensendes in vielen Ländern weit mehr Bedeutung beigemessen als vor 25 Jahren. Informationen sind weltweit verfügbar und der Druck auf die Politik, den Menschen den Zugang zu entsprechender Freiheit im eigenen Land zu ermöglichen, steigt. Es geht dabei – wie auch bei den Beratungsgesprächen von DIGNITAS – bei weitem nicht nur um Suizidhilfe, sondern auch um Patientenrechte, Vorsorge mittels Patientenverfügung, angemessene medizinische Versorgung, palliative Massnahmen, gute Betreuung im Alter, usw.
Das ist erfreulich, doch in vielen Ländern sind Suizidhilfe und/oder aktive Sterbehilfe noch immer strafbar. Zudem ist dort, wo mittlerweile eine Form von Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist, nach wie vor eine grosse Gruppe von schwer leidenden Menschen von diesem Recht ausgenommen; oft deshalb, weil der Zugang per Gesetz willkürlich auf terminal erkrankte Menschen mit einer Lebenserwartung von wenigen Monaten beschränkt wurde.
Hohe fachliche Anforderungen, komplexere Fälle und längere Bearbeitungszeiten
Diese Entwicklung hat auch Folgen für die tägliche Arbeit von DIGNITAS. Die Gesamtzahl der Freitodbegleitungen für Menschen von ausserhalb der Schweiz ist insgesamt stabil, doch die Fälle werden komplexer. In einer Reihe von Ländern ist mittlerweile eine Form von Sterbehilfe möglich – beispielsweise in Deutschland, Österreich, Spanien, Australien, Neuseeland, einzelnen US-Staaten. Wer in solchen Ländern an einer fortgeschrittenen unheilbaren Erkrankung leidet, kann in der Regel zuhause Hilfe beanspruchen und muss dazu nicht in die Schweiz reisen. Zudem hat sich in den letzten Jahren der Zugang zu palliativen Massnahmen in vielen Ländern verbessert, was die Lebensqualität der Betroffenen in der letzten Lebensphase erheblich verbessern kann.
Dem gegenüber steht eine Zunahme von Anfragen von Menschen, die in ihrem Land die Kriterien für den Zugang zu ärztlicher Unterstützung zur Beendigung des eigenen Lebens nicht erfüllen, sowie Anfragen aus Ländern weit ausserhalb Europas, in denen jegliche Form von Sterbehilfe verboten ist. Viele, die sich an DIGNITAS wenden, wollen sich erst einmal über ihre Möglichkeiten informieren. Die Anzahl von Gesuchen aus diesen Ländern für eine Freitodbegleitung sowie die Anzahl der vorgängigen Beratungen steigen stetig an.
Ebenfalls stark zugenommen haben Anfragen von Personen mit komplexen Krankheitsbildern. Dazu gehören beispielsweise neurologische Erkrankungen wie ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) oder so genannte Komorbiditäten (mehrere chronische Leiden gleichzeitig), die die Lebensqualität der Betroffenen stark einschränken. Bei langjährigen und nicht unmittelbar zum Tode führenden komplexen und oft mit Schmerzen verbundenen Erkrankungen ist zudem gelegentlich eine Depression dokumentiert. Dies erfordert zusätzliche Abklärungen, allenfalls auch aktuelle neurologische oder psychiatrische Gutachten, um sicherzustellen, dass der Sterbewunsch nicht Symptom einer behandelbaren (Neben-)Erkrankung ist, sondern eine wohlerwogene Entscheidung aufgrund des gesamten Beschwerdebilds.
Jedes Gesuch für eine Freitodbegleitung ist individuell und wird entsprechend sorgfältig bearbeitet. Die Vorabklärungen, die Vorbereitung eines aussagekräftigen medizinischen Dossiers zur Prüfung durch einen Schweizer Arzt (oder mehrere) und – falls das Mitglied eine Freitodbegleitung beanspruchen möchte – die Beschaffung und Vervollständigung der dazu notwendigen Unterlagen und amtlichen Dokumente (s. dazu auch «Der Weg zu einer Freitodbegleitung», DIGNITAS Newsletter 3/2024) erfordern viel Zeit und Spezialwissen und bedeuten einen hohen Aufwand – sei es für das Mitglied, sei es für DIGNITAS.
Ausblick
Angesichts der demografischen Entwicklungen, der weltweit zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung der Wahlfreiheit und Selbstbestimmung bis ans Lebensende und der vielerorts sehr zögerlichen politischen Prozesse bezüglich Sterbehilfe ist davon auszugehen, dass Internationalität und Komplexität der Arbeit von DIGNITAS in den nächsten Jahren weiter zunehmen werden.
DIGNITAS ist in den letzten Jahren personell stark gewachsen. Die Anforderungen an die fachliche und persönliche Kompetenz und die Flexibilität der Mitarbeitenden sind hoch und es erfolgt eine gründliche, längerdauernde Einarbeitung. Stetige Schulungen, regelmässige Fallbesprechungen, der interne Informationsaustausch und die Optimierung von Abläufen und Dokumentation haben bei der Beratung, der Gesuchsbearbeitung und der Vorbereitung und Durchführung von Freitodbegleitungen einen hohen Stellenwert.
DIGNITAS steht im Austausch mit Organisationen und Institutionen weltweit, die sich für Selbstbestimmung bis zum Lebensende in ihrem Land einsetzen und dabei das Knowhow und die Erfahrung des Vereins nutzen können. Ziel von DIGNITAS ist und bleibt, dass Menschen überall auf der Welt ihr Leiden und Leben legal, sicher und professionell unterstützt und begleitet zu einem selbst gewählten Zeitpunkt beenden dürfen, und dass niemand mehr in die Schweiz reisen muss, um diese Wahlmöglichkeit in Anspruch nehmen zu können.
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