DEUTSCHLAND – Suizidhilfe nach § 217 StGB: Ein Zwischenbericht
20. Mai 2020
Seit dem überraschend eindeutigen Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020, welches den § 217 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) – «Geschäftsmässige Förderung der Selbsttötung» – für nichtig erklärte, ist im Bereich der Suizidhilfe in Deutschland von offizieller Seite wenig Sichtbares geschehen. Die Politik schweigt sich weitgehend aus, was angesichts des Corona-Virus, der das Land gewissermassen lahmgelegt hat, wenig überraschen mag. Den Suizidhilfegegnern gibt dies aber auch Gelegenheit, das unliebsame Thema weiterhin zu ihren Gunsten aus der öffentlichen Debatte fernzuhalten.
Regulatorischer Übereifer
Hinter den Kulissen wird dennoch gearbeitet. Von verschiedener Seite werden bereits eifrig – und nicht immer mit der erforderlichen Sachkompetenz – Gesetzesentwürfe zur Regulierung von Suizidhilfe entworfen; das ist zwar nachvollziehbar, doch nach Ansicht des Vereins «DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» viel zu früh. Das Bundesverfassungsgericht wies in seinem Urteil nicht von ungefähr darauf hin, dass es in Deutschland praktisch keinerlei Forschungsergebnisse darüber gebe, ob und welche Risiken tatsächlich mit der Suizidhilfe verbunden sind.
Die Suizidhilfe nun möglichst schnell regulieren zu wollen, ohne sich dabei auf wissenschaftlich belegbare Erkenntnisse abzustützen, ist leichtfertig. Insbesondere besteht die Gefahr, dass die Suizidhilfe – wie dies schon einmal der Fall war – zum Zankapfel religiös gefärbter politischer und wahltaktischer Manöver verkommt und eine Neuregelung die gewonnene Freiheit zugunsten persönlich-weltanschaulicher Befindlichkeiten beschneidet oder gar unmöglich macht, obschon es dazu keinerlei objektiv begründbaren Anlass gibt und die Einschränkungen auf keinerlei Erfahrungswerten beruhen.
Seriöse Forschung muss der erste Schritt sein. Nur so wird klar, ob und allenfalls welche Regulierungen überhaupt notwendig sind. Die Schweizer Regierung erkannte schon vor fast elf Jahren, am 29. Juni 2009, aufgrund der Erkenntnisse aus über zwanzig Jahren Praxis mit einem einzigen, ganz kurzen Strafrechtsparagraphen, dass ein Spezialgesetz zur weiteren Regelung der Suizidhilfe unnötig ist. Sie kam zum Schluss, die bestehenden Gesetze seien ausreichend, um allfälligen Missbräuchen entgegenzuwirken. Weshalb sollte das in Deutschland anders sein?
Hürden in der praktischen Umsetzung
Obschon Suizidhilfe in Deutschland jetzt wieder möglich ist, bleiben auch die Rahmenbedingungen für deren praktische Durchführung unbefriedigend. Das für Suizidhilfe am besten geeignete Medikament Natrium-Pentobarbital (NaP) ist noch immer nicht erhältlich. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verhindert nach wie vor durch eine illegale Anweisung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn, dass wenigstens Schwerstleidende Zugang zu diesem Mittel erhalten.
Mehr als drei Jahre sind verstrichen seit dem letztinstanzlichen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, das am 2. März 2017 entschieden hatte, Schwerstleidenden müsse in Ausnahmefällen der Zugang zu Natrium-Pentobarbital offenstehen. Immerhin haben Klagen vor dem Verwaltungsgericht Köln in der Zwischenzeit dazu geführt, dass das Gericht zur Auffassung gelangte, das bestehende Verbot des Zugangs zu Natrium-Pentobarbital könnte gegen das Grundgesetz verstossen. Es überwies die Frage an den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zur Klärung.
Das Bundesverfassungsgericht hat als einziges Gericht in Deutschland die Kompetenz zu entscheiden, ob ein Gesetz verfassungswidrig ist. Die Wartezeit auf das zweite Urteil aus Karlsruhe hat zur Folge, dass Menschen in Deutschland, welche von ihrem Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Lebensende Gebrauch machen wollen, sich in der Regel weiterhin beim Schweizer Verein «DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» melden. Zwischen dem 1. Januar und dem 5. Mai 2020 sind 22 Mitglieder aus Deutschland nach Zürich gefahren, um dort ihrem Leiden und Leben ein sanftes, sicheres Ende zu bereiten.
Ergebnisoffene Beratung bei Sterbewunsch
Am 4. März 2020, nur wenige Tage nach der Nichtigerklärung von § 217 StGB durch das Bundesverfassungsgericht, haben die Vereine «DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben (Sektion Deutschland) e.V.» in Hannover und die «Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben» (DGHS) in Berlin gemeinsam mit dem schweizerischen DIGNITAS-Verein unter den Namen «Schluss.PUNKT» eine gemeinsame Plattform ins Leben gerufen. «Schluss.PUNKT» ist eine niedrigschwellige Anlaufstelle für Menschen in Deutschland, die an Suizid denken. Die Basis ist das langjährige, erfolgreiche Beratungskonzept von DIGNITAS in der Schweiz.
Von Montag bis Freitag zwischen 12 und 14 Uhr kann sie über die Telefonnummer 0800 / 80 22 400 aus allen deutschen Netzen unentgeltlich erreicht werden.
Am andern Ende der Leitung trifft der Anrufende auf Menschen, die Suizidgedanken ernst nehmen. Die Beratenden wissen, dass Suizid ein Menschenrecht ist, und respektieren die Entscheidungsfreiheit des Anrufenden. Sie hören unvoreingenommen zu und vermitteln umfassende Informationen als Grundlage für eine freie Entscheidung, die auf dem persönlichen Abwägen aller Optionen – auch dem eines wohlerwogenen Suizids – beruht. Dieser ergebnisoffene Ansatz trägt dazu bei, die Anzahl kurzschlüssiger und riskanter Suizidversuche zu verringern.
Links:
Medienmitteilung von DIGNITAS vom 26.2.2020 zur Nichtigerklärung des § 217 StGB durch das Bundesverfassungsgericht
Gemeinsame Presseerklärung von DIGNITAS und der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) vom 2.3.2020 zu Schluss.PUNKT
Website von Schluss.PUNKT