LITAUEN – Wie stehen Öffentlichkeit und Ärzte zur ärztlich unterstützten Sterbehilfe?

20. Mai 2025

Gastbeitrag von Benedikt Bachmetjev* und Artur Airapetian**

In Litauen ist das Thema der ärztlich unterstützten Sterbehilfe noch ziemlich neu und wird selten diskutiert. Während es in einigen Ländern wie der Schweiz, den Niederlanden oder Kanada bereits gesetzliche Möglichkeiten gibt, unheilbar kranken Patienten zu helfen, ihr Leben in Würde zu beenden, gibt es in Litauen noch kein klares Gesetz, keine offizielle Politik und kaum öffentliche Diskussionen dazu. Dabei ist dies eine Frage, die früher oder später jeden betrifft. Sie berührt die Menschenwürde, das Leiden, die Entscheidungsfreiheit – und für viele Menschen auch tiefe Ängste.

Litauen hat eine besondere Geschichte. Fünfzig Jahre lang war es Teil der Sowjetunion, in der die Religion aus dem öffentlichen Leben verdrängt und individuelle Entscheidungen oft ignoriert wurden. Nach der Unabhängigkeit änderte sich das Land schnell; es wurde demokratischer, liberaler und offener. Doch wenn es um persönliche und sensible Themen wie Tod und Sterben geht, beeinflussen diese Aspekte der Geschichte noch immer das Denken der Menschen.

Die Einstellung der Bevölkerung
Um die Ansichten der Bevölkerung besser zu verstehen, wurde 2022 eine nationale Umfrage durchgeführt. 5’804 Personen aus ganz Litauen nahmen daran teil. Es handelt sich um die grösste Studie zu diesem Thema in der Geschichte des Landes. Den Befragten wurden reale medizinische Szenarien vorgelegt und sie wurden dabei gefragt, ob es unheilbar kranken Patienten erlaubt sein sollte, ihr Leben mit ärztlicher Unterstützung zu beenden. Die Ergebnisse zeigten, dass 71 % der Befragten den assistierten Suizid und 69 % die direkte aktive Sterbehilfe befürworteten, bei der ein Arzt das Medikament auf Wunsch des Patienten aktiv verabreicht.

Die Zustimmung war bei jüngeren Menschen deutlich höher – über 80 % der unter 35-Jährigen sagten Ja. Auch bei Menschen, die sich keiner Religion zuordnen, war die Zustimmung grösser: 86 % befürworteten ärztlich unterstützte Sterbehilfe, bei den religiösen Befragten waren es 61 %. Menschen, die noch keine persönliche Erfahrung mit der Betreuung eines Menschen am Lebensende hatten, befürworteten die ärztlich unterstützte Sterbehilfe stärker (79 %), während die Zustimmung bei denjenigen, die mehr als fünf Jahre Erfahrung damit hatten, auf 52 % fiel. Es scheint, dass der persönliche Kontakt mit sterbenden Patienten das Thema komplexer und manchmal auch schmerzhafter erscheinen lässt.

Wenn es jedoch um Patienten mit langfristigen psychischen Erkrankungen geht, fielen die Antworten sehr unterschiedlich aus. Nur 41 % befürworteten in diesen Fällen den assistierten Suizid, und viele Befragte gaben an, sie seien unsicher. Dies zeigt ein starkes Zögern in der Gesellschaft. Die Menschen fragen sich: Ist der Patient wirklich in der Lage zu entscheiden? Könnte noch etwas helfen? Sollten wir hier vorsichtiger sein? Dies sind schwierige, aber wichtige Fragen. Sie zeigen, dass die Öffentlichkeit reden will – nicht nur «ja» oder «nein» sagen, sondern besser verstehen.

Die Einstellung der Ärzte
Eine zweite Studie untersuchte die Haltung der Ärzte gegenüber der ärztlich unterstützten Sterbehilfe. 361 Krankenhausärzte aus verschiedenen Landesteilen nahmen daran teil. Dies war die erste Studie in Litauen, in welcher Mediziner direkt zu ihrer Meinung bezüglich ärztlich unterstützter Sterbehilfe befragt wurden. Die Antworten waren ähnlich wie die der allgemeinen Öffentlichkeit: 61 % befürworteten den assistierten Suizid, und 61,5 % die direkte aktive Sterbehilfe für Patienten mit einer unheilbaren körperlichen Krankheit. Wenn es jedoch um psychische Erkrankungen ging, sagten nur 19 % der Ärzte Ja.

Die Einstellung der Ärzte unterschied sich auch in Abhängigkeit von ihrem Alter, ihren persönlichen Überzeugungen und ihrer Erfahrung. Jüngere Ärzte – unter 35 Jahren – standen der ärztlich unterstützten Sterbehilfe deutlich offener gegenüber (80 % bejahten sie), während die Unterstützung bei Ärzten im Alter von 46 bis 55 Jahren auf 43 % zurückging. Nichtreligiöse Ärzte befürworteten ärztlich unterstützte Sterbehilfe stärker (80 %) als religiöse Ärzte (55 %). Auch die Erfahrung spielte eine Rolle: Ärzte mit mehr als 30 Jahren Erfahrung waren zurückhaltender (44 % Zustimmung), während jüngere Ärzte mit weniger als zehn Jahren Erfahrung ärztlich unterstützte Sterbehilfe eher befürworteten (80 %).

Stärkere Übereinstimmung herrschte bei anderen Lebensende-Optionen. 92 % der Ärzte befürworteten die Ablehnung von Wiederbelebung (DNR, do-not-resuscitate) auf Wunsch des Patienten. 70 % sprachen sich für die Nutzung von Patientenverfügungen aus.

Es ist an der Zeit, das Gespräch über ärztlich unterstützte Sterbehilfe zu beginnen
Die Menschen in Litauen – sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Medizin – ignorieren das Thema nicht. Sie denken darüber nach, stellen sich Fragen, sind manchmal unsicher, aber eindeutig bereit, darüber zu sprechen. Die Unterstützung für ärztlich unterstützte Sterbehilfe wächst, aber es bestehen auch Vorsicht, Zurückhaltung und der Wunsch, die Dinge mit Bedacht anzugehen.

Letztendlich ist die Hauptfrage eine einfache: Wie können wir sicherstellen, dass Menschen in der letzten Lebensphase umsichtig, würdevoll und ehrlich behandelt werden? Diese zwei Studien geben nicht alle Antworten. Aber vielleicht können sie Litauen helfen, das Gespräch zu beginnen, das unserer Meinung nach mehr denn je nötig ist.

Die beiden Studien (englisch):

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* Benedikt Bachmetjev hat 2019 sein Studium an der medizinischen Fakultät der Universität Vilnius begonnen und wird es voraussichtlich 2025 abschliessen. Er leitet hauptsächlich Forschungsprojekte für den Forschungsrat Litauens mit den Schwerpunkten öffentliche Gesundheit, psychische Gesundheit und Entscheidungen am Lebensende. Er ist auch im öffentlichen Diskurs aktiv und tritt häufig als Gast im litauischen Staatsfernsehen, im Radio, in verschiedenen Medien und in Podcasts auf, wo er verschiedene Fragen der öffentlichen Gesundheit, einschliesslich Entscheidungen am Lebensende, erörtert.

** Artur Airapetian studiert wie Benedikt Bachmetjev an der medizinischen Fakultät der Universität Vilnius. Er leitet ebenfalls unabhängige Forschungsprojekte für den Forschungsrat Litauens, in ähnlichen Bereichen, wie öffentliche Gesundheit, psychisches Wohlbefinden und Entscheidungen am Lebensende. Artur begleitet Benedikt oft bei öffentlichen Veranstaltungen und Medienauftritten, wo sie gemeinsam über diese wichtigen Themen sprechen.