NEUSEELAND – End of Life Choice Act – erste Erfahrungen
24. Mai 2023
Gastbeitrag von Maryan Street*
Der «New Zealand End of Life Choice Act 2019»** in Aotearoa/Neuseeland trat am 7. November 2021 in Kraft. Wenn wir auf das erste Jahr zurückblicken, stellen wir fest, dass das Gesetz, mit all seinen Vorsichtsmassnahmen, Voraussetzungen und Einschränkungen, wie beabsichtigt funktioniert. Das neuseeländische Gesundheitsministerium/Manatū Hauora hat kürzlich die Ergebnisse des ersten Jahres der Umsetzung dieses Gesetzes veröffentlicht, für dessen Inkrafttreten viele Menschen lange und hart gearbeitet haben. Der Bericht kann hier eingesehen werden.
Einige Zahlen
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Jahr vom 7. November 2021 bis zum 6. November 2022 661 Personen einen formellen Antrag auf Sterbehilfe gestellt haben. Davon haben 636 den Weg vom ersten Antrag bis zur Begutachtung durch einen behandelnden Arzt zurückgelegt. Die 25 Personen, die nicht bis zur Begutachtung gingen, zogen entweder ihren Antrag zurück, starben bevor die Begutachtung durch den behandelnden Arzt formell eingeleitet wurde, wurden vor der ersten Begutachtung als nicht berechtigt eingestuft oder ihr Antrag war zum Zeitpunkt der Erstellung des Jahresberichts noch offen.
In diesem Zeitraum wurden 636 Begutachtungen durch den ersten Arzt und 475 durch den zweiten, unabhängigen Arzt abgeschlossen. 399 Anträge wurden als zulässig bestätigt, und 257 Sterbehilfefälle fanden statt. Bei 305 Anträgen wurde die Sterbehilfe nicht beansprucht, entweder weil die Personen ihren Antrag zurückzogen, weil sie nach der Begutachtung als nicht berechtigt oder nicht einwilligungsfähig befunden wurden, weil sie an ihren Grunderkrankungen starben oder weil der Antrag bei der abschliessenden Überprüfung als nicht gesetzeskonform befunden wurde.
Der Jahresbericht enthält viele nützliche Daten, unter anderem über die ethnische Zugehörigkeit, die Altersgruppe, das Geschlecht und den Sterbeort. Von den 661 Neuanträgen, die im Laufe des Jahres eingingen, sind einige Details erwähnenswert:
– 80,8 % waren neuseeländisch-europäischer Abstammung
– 5,5 % waren Māori
– 55,2 % waren Frauen
– 75,8 % waren 65 Jahre alt oder älter
– 2,12 % waren 18-44 Jahre alt
– 77,0 % waren zum Zeitpunkt der Antragstellung in palliativer Behandlung
– 67,9 % hatten eine Krebsdiagnose.
Die Geschichte des End of Life Choice Act 2019
Der ursprüngliche Gesetzentwurf wurde im Juni 2017 in das Parlament eingebracht. Er wurde an einen parlamentarischen Sonderausschuss zur öffentlichen Stellungnahme und Konsultation weitergeleitet und schliesslich am 13. November 2019 verabschiedet, unter der Bedingung, dass er ein Jahr später, zeitgleich mit den Parlamentswahlen 2020, einem nationalen Referendum unterzogen würde. Die Referendumsklausel im Gesetz sah zudem eine Frist von einem weiteren Jahr vor, bevor das Gesetz in Kraft treten konnte. Das Referendum bedeutete demnach, dass nach der Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2019 zwei Jahre verstreichen würden, bevor jemand in Aotearoa/Neuseeland Sterbehilfe gemäss den Bestimmungen des Gesetzes beantragen konnte. Dies war wahrscheinlich einer der längsten Gesetzesprozesse, die es je in Aotearoa/Neuseeland gab.
Im Jahr 2020 sahen sämtliche Befürworter gespannt dem Ergebnis des nationalen Referendums entgegen, das erforderlich war, bevor das Gesetz in Kraft treten konnte. Der Wortlaut der Referendumsfrage war einfach:
«Ja, ich bin für das Inkrafttreten des End of Life Choice Act 2019.»
«Nein, ich bin nicht für das Inkrafttreten des End of Life Choice Act 2019.»
Schliesslich sprachen sich 65,1 % der Stimmenden für die Vorlage aus und 33,7 % dagegen. Die Stimmbeteiligung lag bei 81,9 %, was einer für Aotearoa/Neuseeland überaus hohen Beteiligung entspricht.
Es gibt noch mehr zu tun…
Letztes Jahr hatte ich das Privileg (und auch die Last), dass ich gebeten wurde, die Hauptbezugsperson für zwei Freunde von mir zu sein. Der Ehemann hatte einen inoperablen Hirntumor. Ich begleitete ihn und seine Frau von der ersten Begutachtung durch den behandelnden Arzt über die zweite Begutachtung durch den unabhängigen Arzt bis hin zu seinem Tod, dessen Zeitpunkt und Art und Weise er selbst gewählt hatte. Es lief alles so ab, wie es das Gesetz vorsah und wie es die ursprünglichen Architekten des Gesetzes, eine talentierte Gruppe der «End of Life Choice Society NZ» und ich, beabsichtigt hatten. Es war anmutig, würdevoll und friedlich.
Gibt es noch mehr zu tun? Ja, das gibt es auf jeden Fall! Bei der Verabschiedung des Gesetzes war man einige Kompromisse eingegangen, um sicherzustellen, dass das sehr konservative Parlament zumindest eine Form der Sterbehilfe zulassen würde.
Ein ganzer Abschnitt über Vorabverfügungen, die auch dann noch gelten sollten, wenn eine Person nicht mehr einwilligungsfähig ist, wurde aus dem ursprünglichen Gesetzentwurf gestrichen, noch bevor er im Parlament behandelt wurde.
Der Prognosezeitraum, innerhalb dessen man Anspruch auf Sterbehilfe haben kann, wurde von 12 auf 6 Monate verkürzt. Das bedeutet, dass betroffene Personen erst gegen Ende des Krankheitsverlaufs einen Antrag stellen können.
Jeder Hinweis auf Demenz wurde gestrichen. In Aotearoa/Neuseeland steht eine breitere gesellschaftliche Debatte zu diesem Thema noch aus.
Kritisch anzumerken ist auch, dass eines der Kriterien für die Anspruchsberechtigung, nämlich das Leiden an einer «schweren und unheilbaren» Krankheit, gestrichen wurde, weil die Gegner des Gesetzes dies für zu vage und subjektiv hielten.
Die End of Life Choice Society NZ setzt sich mit Engagement und Sorgfalt dafür ein, dass all diese Kompromisse wieder aufgegriffen und nochmals eingebracht werden. Der End of Life Choice Act 2019 funktioniert, aber er ist in Aotearoa/Neuseeland noch nicht vollständig.
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* HON. MARYAN STREET war Mitglied des Parlaments von Aotearoa/Neuseeland, Kabinettsministerin und Präsidentin der End of Life Choice Society NZ.
** Das Gesetz von Aotearoa/Neuseeland ermöglicht vier Methoden der Verabreichung lebensbeendender Medikamente: Einnahme durch die Person, intravenöse Zuführung ausgelöst durch die Person, Verabreichung durch einen Schlauch (Magensonde) ausgelöst durch den behandelnden Arzt oder die behandelnde Krankenschwester, oder Injektion durch den behandelnden Arzt oder die behandelnde Krankenschwester. (End of Life Choice Act 2019, Abschnitt 19 (2)(a)(i-iv)).
