«Sollte nicht gerade im palliativen Kontext die Möglichkeit bestehen, den Zeitpunkt des Sterbens selbst zu wählen?»

05. November 2025

Für die Gesundheits- und Krankenpflegerin Neele Bergmann ist die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod ein Privileg – so sehr, dass sie ihre Bachelorarbeit dem Spannungsfeld zwischen Suizidassistenz und Palliativversorgung widmete. Im Gespräch mit Dignitas teilte sie ihre Erkenntnisse und erläuterte, wie und weshalb eine Koexistenz der Wege zum Lebensende möglich ist.

Was bringt eine Frau von noch nicht einmal 30 Jahren dazu, sich so intensiv mit dem Sterben und dem Tod zu beschäftigen, dass sie dem Thema gleich ihre Bachelorarbeit (BA)[1] widmet, Neele Bergmann? «Menschen im Sterbeprozess begleiten zu dürfen ist ein Privileg», antwortet sie und fügt an, dass sie noch nie wirklich Berührungsängste mit Sterben und Tod gehabt habe. Neele Bergmann ist Gesundheits- und Krankenpflegerin, ihre Berufsausbildung hat sie im Krankenhaus Ludmillenstift in Meppen (Niedersachsen) absolviert und arbeitet seit 2019 am Uniklinikum in Münster. In ihrer beruflichen Laufbahn sei sie auch auf Patientinnen und Patienten getroffen, die so nicht weiterleben wollten. Konkret formuliert seien deren Sterbewünsche aber selten: «Das sind eher verschlüsselte Botschaften, etwa: ‹Ich kann das nicht mehr›.»

Während ihrer Berufstätigkeit sei ihr bewusst geworden, dass «es viel Unwissen gibt». In ihrer BA hält sie denn auch fest: «[…], dass in der Bevölkerung […] sowie auch bei Pflegefachkräften, Ärztinnen und Ärzten und selbst bei in der palliativen Versorgung tätigen Fachkräften eine erhebliche Wissenslücke über die rechtliche Lage des assistierten Suizids besteht.»[2] Zudem sei ihr aufgefallen, dass in der Praxis zwischen Palliativversorgung und Suizidassistenz offenbar ein Spannungsfeld existiere. Das habe sie irritiert, denn einerseits habe sie selbst «von Anfang an keinen Widerspruch gespürt. Ich meine: Sollte nicht gerade im palliativen Kontext die Möglichkeit bestehen, bei Bedarf den Zeitpunkt des Sterbens selbst zu wählen?» Andererseits sei ihr auch in ihrem persönlichen Umfeld kein solcher Widerspruch begegnet, weder in der Familie noch im Freundeskreis oder bei Kommilitoninnen und Kommilitonen. Und auch die Betreuerin ihrer BA sei von Beginn weg interessiert, offen und unterstützend gewesen.

Gespräche, Entlastung, Unterstützung
Diese Erfahrungen führten zur zentralen Forschungsfrage ihrer BA: «Inwiefern existieren Spannungsfelder zwischen dem assistierten Suizid und der Palliativversorgung und ist eine Koexistenz möglich?» Um diese Frage beantworten zu können, hat Neele Bergmann nicht nur eine ausführliche narrative Literaturrecherche gemacht, sondern auch ein Praktikum in der Schweiz beim Verein «Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» absolviert. Besonders beeindruckt hat sie dort das offene Beratungskonzept: «Ergebnisoffene Beratung ist wichtig, damit kann schon total viel Leid aufgefangen werden.» Ihr gefällt daran besonders, «dass das Thema Freitodbegleitung nicht als isolierter Vorgang betrachtet wird, sondern als Prozess.» Dieses prozessuale Denken sei hilfreich, weil es den Blick auf die Begleitung erweitere: Es gehe nicht nur um eine Entscheidung am Ende, sondern um viele Schritte davor: um Gespräche, Entlastung, Unterstützung.

Zwischen Autonomie und Fürsorge
Neele Bergmann hält eine «reflektierte Koexistenz der Suizidassistenz und der Palliativversorgung prinzipiell für möglich». Noch sei man allerdings gesellschaftlich und strukturell von diesem Ziel entfernt. Neele Bergmann führt dies zum einen darauf zurück, dass tatsächlich viel Unwissen existiere und zum anderen auf eine Frage der Generation(en). Jüngere Menschen seien generell offener gegenüber der Suizidassistenz als ältere. Diese Erfahrung mache sie auch selbst regelmässig sowohl im privaten als auch im akademischen und beruflichen Umfeld. Wichtig sei ihr zudem, dass über Suizidassistenz und Palliativversorgung «offen, sachlich, menschlich und reflektiert gesprochen wird – gerade auch im palliativen Setting». Nur so entstehe für Betroffene eine echte Wahlmöglichkeit.

Ein weiterer Schlüssel liegt für Neele Bergmann im Zusammenspiel der Prinzipien Fürsorge und Autonomie. In der Palliativversorgung steht die Fürsorge im Vordergrund, etwa durch die Linderung von Schmerzen, die Minimierung von Leiden und den Erhalt von Lebensqualität. In der Suizidassistenz hingegen dominiert die Autonomie. Für Neele Bergmann schliessen sich Fürsorge und Autonomie jedoch nicht aus. Patientinnen und Patienten können fürsorglich begleitet werden – und zugleich ihre Selbstbestimmung wahren. So ist es möglich, im Palliativsetting im Gespräch zu bleiben, auch wenn jemand einen Sterbewunsch äussert. Umgekehrt sollte in der Suizidassistenz die Fürsorge nicht enden, nur weil ein solcher Wunsch im Raum steht.

Ihre Analyse zeigt denn auch: Eine reflektierte Koexistenz von Suizidassistenz und Palliativversorgung ist denkbar, verlangt aber nach einer bewussteren Auseinandersetzung mit ethischen Prinzipien, Zielkonflikten und Rahmenbedingungen. Aus dieser Erkenntnis leitet Neele Bergmann zugleich ihre berufliche Vision ab: «Ich will eine Brücke bauen und Sicherheit für alle Beteiligten herstellen, insbesondere für die Fachpersonen. Mir ist wichtig, dass dabei eine reflektierte Offenheit gegenüber dem Thema besteht und allen Beteiligten zugehört wird.»

Kurz-Biographie von Neele Bergmann
Neele Bergmann ist Gesundheits- und Krankenpflegerin an der Uniklinik Münster. Sie schloss 2025 den Bachelor in Berufspädagogik im Gesundheitswesen an der Fachhochschule Münster ab. Beruflich orientiert sie sich in Richtung ambulanter Palliativversorgung und wird im Frühjahr 2026 den Masterstudiengang Palliative Care an der FH Münster aufnehmen.


[1] Die BA «Assistierter Suizid und Palliativversorgung im Spannungsfeld – Ethische, rechtliche und gesellschaftliche Perspektiven mit Blick auf Deutschland und die Schweiz», vorgelegt im Juli 2025 an der FH Münster, ist hier zu finden.
[2] Bergmann, N. (2025). Assistierter Suizid und Palliativversorgung im Spannungsfeld – Ethische, rechtliche und gesellschaftliche Perspektiven mit Blick auf Deutschland und die Schweiz (Bachelorarbeit, Fachhochschule Münster), S. 34.