DIGNITAS INTERN Covid-19 und Patientenverfügung: Braucht es eine Zusatzerklärung?
Im Zusammenhang mit Corona/Covid-19 wurde und wird in den Medien viel über die Notwendigkeit einer Patientenverfügung geschrieben. Im folgenden Artikel nimmt der Verein «DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» Stellung zu Sinn und Zweck eines solchen Dokuments und äussert sich zur Frage, ob in einer Patientenverfügung besondere Bestimmungen für den Fall einer Covid-19-Erkrankung notwendig sind.
Viele Menschen sind bezüglich medizinischer Anordnungen der Ansicht, «mein Arzt wird schon wissen, was gut für mich ist». Dieses damit ausgedrückte Vertrauen in die Ärzteschaft und eine funktionierende medizinische Versorgung sind erfreulich.
Andere möchten lieber selbst bestimmen, welche medizinischen Behandlungen sie für sich in Anspruch zu nehmen bereit sind und welche nicht: Sie möchten beispielsweise nicht ohne Bewusstsein in einem Spital an Apparate angeschlossen und während langer Zeit künstlich am Leben erhalten werden. Sie möchten den Jahren mehr Leben, aber nicht unter allen Umständen dem Leben mehr Jahre geben.
Vorsorge mittels Patientenverfügung
Wer diesbezüglich vorsorgen möchte, kann eine Patientenverfügung erstellen. Diese muss zu einem Zeitpunkt errichtet werden, zu dem noch kein begründeter Zweifel daran besteht, dass man dazu urteilsfähig ist; zur Anwendung kommt sie jedoch erst dann, wenn man seinen Willen deshalb nicht mehr äussern kann, weil man die Urteilsfähigkeit aus irgendeinem Grund verloren hat.
Wichtig ist daher ein unmissverständlicher Text mit eindeutigen Anordnungen. In einer Patientenverfügung sollen auch eine oder besser mehrere Personen bezeichnet werden, die befugt sind, für diejenige Person stellvertretend zu sprechen, welche die Patientenverfügung erstellt hat. Dies ist dringend zu empfehlen, damit diese Personen die Patientenverfügung Dritten zur Kenntnis bringen und durchsetzen können, nötigenfalls auch gegen Widerstände.
Besondere Frage aufgrund Covid-19
Dramatische Nachrichten über die medizinische Behandlung und deren Folgen bei einer Covid-19-Erkrankung können zu Verunsicherung führen. Für diejenigen, die eine Lebenserhaltung über einen bestimmten Punkt hinaus ablehnen und nicht «an Maschinen und Schläuchen angeschlossen das Ende abwarten wollen», stellt sich die Frage, ob sie eine spezielle Patientenverfügung zur Ablehnung insbesondere intensivmedizinischer Behandlung bei schwerem Krankheitsverlauf erstellen müssen.
Die gute Nachricht: Eine spezielle «Covid-19-Patientenverfügung» oder ein entsprechender Zusatz zu einer bestehenden Patientenverfügung ist nicht notwendig. Wenn die bestehende Patientenverfügung dem eigenen aktuellen Willen entspricht, muss sie auch hinsichtlich einer möglichen Covid-19-Erkrankung nicht angepasst werden.
Zudem ist eine an Covid-19 erkrankte Person im Normalfall zunächst noch selbst in der Lage, die Behandlungsoptionen mit dem medizinischen Fachpersonal zu besprechen; sie kann sich im Verlauf der Erkrankung situativ zu weiterführenden Behandlungen äussern.
Gültigkeit der Patientenverfügung
Grundsätzlich ist eine Patientenverfügung rechtlich durchsetzbar, wenn sie schriftlich errichtet sowie mit Datum und Unterschrift versehen wurde und nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstösst. Die Patientenverfügung einer Selbstbestimmungs-Organisation wie DIGNITAS legt besonderes Gewicht auf den Schutz der Patientin oder des Patienten vor medizinischer Überbehandlung. Sie ist dem entsprechend klar formuliert und enthält unmissverständliche Instruktionen, was auch Ärzten und Pflegefachpersonal Sicherheit gibt*.
Patientenverfügungen, auch frei verfügbare Vorlagen, sind zuweilen unklar oder gar widersprüchlich formuliert. Wenn begründete Zweifel bestehen, dass die Patientenverfügung auf freiem Willen beruht, werden Ärzte und Pflegefachkräfte ihr nicht entsprechen. Es tritt unter Umständen das ein, was man verhindern wollte: eine medizinische (Weiter-)Behandlung. Darüber hinaus führen Unklarheiten zu einer zeitlichen und emotionalen Belastung von Ärzten und Pflegefachpersonal, und natürlich auch von Angehörigen, da in diesen Fällen diskutiert, abgewogen und der mutmassliche Wille der Person zu ergründen versucht wird. Manchmal wird auch eine «Ethikkommission» zu Rate gezogen; diese Gremien sind jedoch manchmal mit konservativ-religiös gebundene Moralisten besetzt und keineswegs stets weltanschaulich neutral.
Miteinander reden
Zusätzlich zur Erstellung einer Patientenverfügung, welche als «hart formuliert» bezeichnet werden mag und wirklich dem eigenen Willen entspricht, ist es sehr empfehlenswert, sich mit den nächsten Bezugspersonen über die eigenen Wünsche bezüglich «letzter Dinge» auszutauschen und auch über die persönlichen Behandlungswünsche im Falle einer Covid-19-Erkrankung zu sprechen.
So erlangen diese mehr Handlungssicherheit im Fall eines plötzlichen Verlusts der Urteilsfähigkeit mit gleichzeitiger Covid-19-Erkrankung und können Ärztinnen und Ärzte entsprechend klar über die individuellen Behandlungswünsche orientieren.
Vorsorge und Selbstbestimmung
Die Folgen einer Covid-19-Erkrankung können schwerwiegend sein, und es ist erfreulich, dass in Medien mehr über die Patientenverfügung und weitere Vorsorgemöglichkeiten berichtet wird. Allerdings erfolgt dies oft dramatisierend, und Empfehlungen von «Experten» schiessen manchmal über das Ziel hinaus: So wurde beispielsweise eine Pflicht zur Erstellung einer Covid-19-Patientenverfügung diskutiert. Zudem werden umfangreiche Patientenverfügungen empfohlen, welche als aufwändiges «Advance Care Planning» verpackt und mit kostenpflichtiger Beratung verkauft werden.
Hier ist Vorsicht geboten. Die Pflicht zur Erstellung einer Patientenverfügung widerspricht Wahlfreiheit und Selbstbestimmung. Und das kostenpflichtige «Advance Care Planning» tendiert dazu, die Patientenverfügung, an sich ein einfaches und effizientes Instrument der Vorsorge, unnötig zu verkomplizieren und so den Zugang zum Schutz vor unerwünschten Behandlungen zu erschweren.
Jeder hat grundsätzlich Anspruch auf maximal mögliche medizinische Behandlung. Wie weit diese gehen darf, entscheidet jeder individuell: Wer eine Patientenverfügung erstellt, setzt die Grenze selbst; wer keine Patientenverfügung erstellt, überlässt die Entscheidung anderen.
* Sowohl Mitglieder des Schweizer Vereins «DIGNITAS – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» wie auch Mitglieder des Partnervereins DIGNITAS-Deutschland e.V. können für die Dauer ihrer Mitgliedschaft eine rechtlich wirksame Patientenverfügung erhalten, welche von Ärztinnen und Ärzten und dem Pflegepersonal in Krankenhäusern respektiert werden muss und zu deren Durchsetzung DIGNITAS Mitgliedern, wo notwendig, direkte Unterstützung durch einen Rechtsanwalt zukommen lässt. Da Patientenverfügungen eng mit dem Recht des Landes zusammenhängen, in dem sie ausgegeben werden, kann die rechtsanwaltliche Unterstützung der Durchsetzung grundsätzlich nur für das Gebiet der Schweiz, respektive Deutschland, garantiert werden.
Newsletter 2020-2-3
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