ENGLAND UND WALES – Stand des Gesetzesentwurfs und wie Assisted Dying ablaufen würde
05. November 2025
Gastbeitrag von Nathan Stilwell*
Der Gesetzesentwurf «Terminally Ill Adults (End of Life) Bill» für England und Wales ist eine sogenannte «Private Member’s Bill», d. h. ein Vorschlag, der von einem einzelnen Abgeordneten und nicht von der Regierung eingebracht wurde. Er wurde von der Parlamentsabgeordneten Kim Leadbeater vorgelegt. Die Regierung ist offiziell neutral und die beteiligten Politiker können frei – also ohne Fraktionsbindung – abstimmen. Im Juni 2025 wurde der Gesetzesentwurf in der entscheidenden dritten Lesung bei der letzten grossen Abstimmung im «House of Commons», unserer vom Volk gewählten Unterkammer, mit 314 zu 291 Stimmen angenommen. Er wird nun unter der Leitung von Lord Falconer of Thoroton vom «House of Lords», den nicht vom Volk gewählten Mitgliedern des Oberhauses (bekannt als «Peers»), auf mögliche Änderungen geprüft.
Der Gesetzesprozess
Der Gesetzgebungsprozess im Vereinigten Königreich sieht vor, dass ein Gesetzesentwurf mehrere Debatten und Änderungsphasen in beiden Kammern (dem Unterhaus und dem Oberhaus) durchlaufen muss, bevor er «Royal Assent» erhalten kann, das heisst die Zustimmung des Königs, der das Gesetz offiziell unterzeichnet und ihm dadurch Gesetzeskraft verleiht. Im vorliegenden Fall hat das Parlament eine ungewöhnlich gründliche Vorgehensweise gewählt: Die Debatten waren länger und die Sammlung von Fakten und Informationen zum Thema umfangreicher als üblich. Der Gesetzesentwurf muss bis zum Ende der aktuellen parlamentarischen Sitzungsperiode im Frühjahr 2026 alle noch verbleibenden Phasen durchlaufen haben.
Das House of Lords ist einem internationalen Publikum nur schwer zu erklären. Es gibt immer noch sogenannte «hereditary peers», ein Titel, der über Generationen weitervererbt, aber bald abgeschafft wird. 26 Bischöfe der Church of England haben zudem von Rechts wegen einen Sitz im House of Lords und dürfen dort mitreden und abstimmen. Normalerweise stimmt das House of Lords nicht mit «Ja» oder «Nein» über Gesetze ab; da seine Mitglieder nicht gewählt sind, nehmen sie in der Regel nur Überarbeitungen und kleinere Änderungen vor. Die Bischöfe haben jedoch öffentlich erklärt, dass sie zur Terminally Ill Adults (End of Life) Bill eine solche «Ja»-oder-«Nein»-Abstimmung erzwingen wollen, und da das Oberhaus aus mehr als 850 Mitgliedern besteht, von denen nicht alle an einer Abstimmung teilnehmen werden, ist das Ergebnis schwer vorherzusagen.
In der zweiten Lesung führten die Peers eine ausserordentliche Grundsatzdebatte über zwei Tage hinweg, in der fast 180 Peers das Wort ergriffen – die grösste Debatte, die jemals zu einer «Private Member’s Bill», stattgefunden hat. Darüber hinaus haben die Peers ein «Select Committee», das heisst einen Sonderausschuss, eingerichtet, der speziell dazu dient, noch mehr Informationen und Fakten zum Thema Sterbehilfe zu sammeln. Es ist das erste Mal, dass ein Ausschuss für ein solches Thema eingerichtet wurde, was selbst bei Gesetzesvorschlägen der britischen Regierung nur selten vorkommt. Der Ausschuss hört Fachverbände, Gerichtsmediziner, Ärzte und Minister an und wird bis zum 7. November einen Bericht vorlegen. Wir befürchten, dass im Ausschuss mehr Gegner als Befürworter der Sterbehilfe sitzen; die Auswahl der angehörten Sachverständigen war jedenfalls überaus einseitig.
Vorgesehener Ablauf der Sterbehilfe
Was würde das vorgeschlagene Gesetz konkret bewirken? Einfach ausgedrückt würde es urteilsfähigen, in England und Wales lebenden Erwachsenen, die unheilbar krank sind und eine Lebenserwartung von sechs Monaten oder weniger haben, ermöglichen, Sterbehilfe in der Form von ärztlich unterstützter Suizidassistenz in Anspruch zu nehmen. Zusätzlich zur Urteilsfähigkeit, die gegeben sein muss, ist eine weitere Voraussetzung ein fester, dauerhafter und wohlinformierter Sterbewunsch.
Zunächst gibt die Person eine schriftliche Erklärung vor Zeugen ab. Anschliessend führt ein speziell ausgebildeter Arzt eine Beurteilung durch, worauf eine obligatorische siebentägige Pause folgt. Ein unabhängiger zweiter ebenfalls speziell dafür ausgebildeter Arzt wiederholt die Beurteilung, worauf eine vierzehntägige Bedenkzeit folgt. Anschliessend wird der Fall von einem unabhängigen Gremium geprüft, bestehend aus einem Anwalt, einem Psychiater und einem Sozialarbeiter. Wird die Genehmigung erteilt, stellt einer der begutachtenden Ärzte das Medikament zur Verfügung, das der Patient sich selbst verabreicht, im Beisein des Arztes.
Für jeden Schritt gibt es Sicherheitsvorkehrungen. Bei jeder Interaktion überprüfen Ärzte und Ausschussmitglieder die Urteilsfähigkeit und das allfällige Vorliegen von Zwang, wobei bei Verdacht auf Missbrauch die üblichen Schutzmassnahmen greifen. Eine Schulung zum Thema häusliche Gewalt, einschliesslich Zwang und finanzieller Missbrauch, ist obligatorisch. Der Gesetzesentwurf sieht auch schwere strafrechtliche Sanktionen vor: Wer jemanden durch Unehrlichkeit, Zwang oder Druck zu einer Sterbehilfe veranlasst, muss mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen; die Fälschung von Dokumenten ist ebenfalls strafbar.
Was würde sich verändern?
Weshalb sind dieser Gesetzesentwurf und die Legalisierung von Assisted Dying im Vereinigten Königreich von Bedeutung? Derzeit reist jede Woche mehr als ein Brite in die Schweiz, um sein Leiden und Leben zu beenden. Diese Option steht jedoch nur denjenigen zur Verfügung, die dazu in der Lage sind und noch die Kraft dazu haben. Andere wählen den Suizid, meist allein und mit riskanten Mitteln, mit all den negativen Konsequenzen, die dies für sie selbst, ihre Angehörigen und Dritte mit sich bringt. Manche Menschen sterben unter grossen Schmerzen und Qualen, wenn selbst die beste Pflege ihr Leiden nicht lindern kann. Der Gesetzesentwurf würde für manche Menschen ein solch schreckliches Ende verhindern.
Ausblick
Die Peers werden nun in den nächsten Monaten über mögliche Änderungen des Gesetzesentwurfs debattieren und abstimmen. Danach schicken sie ihn zurück an das Unterhaus für einen Prozess namens «Ping-Pong», bei dem der Gesetzesentwurf so lange zwischen den Kammern hin und her geht, bis beide einverstanden sind.
Der Gesetzesentwurf hat bereits jetzt einen neuen Rekord für evidenzbasierte, parteiübergreifende Beratungen und sehr ausgiebige Debatten aufgestellt. Wird er noch in dieser parlamentarischen Sitzungsperiode verabschiedet, würden England und Wales (Schottland, Jersey und die Isle of Man haben eigene Gesetzentwürfe) sich der wachsenden Zahl von Ländern anschliessen, die sich für ein sorgfältig geschütztes Recht und die Freiheit entscheiden, über das Ende des eigenen Leidens und Lebens zu entscheiden, auf der Grundlage von Autonomie, Mitgefühl und Würde.
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*Nathan Stilwell ist Kampagnenleiter bei «My Death, My Decision», einer Organisation, die sich dafür einsetzt, dass in England und Wales Menschen, die unheilbar krank sind oder unerträglich leiden, Zugang zu einer legalen, sicheren und einfühlsamen Sterbehilfe haben.